Die Sommerhausse erweist sich als Bärenmarktrally

Krieg in der Ukraine, galoppierende Inflation und Konjunktursorgen – egal: Die Aktienmärkte befanden sich bis zum Treffen der Notenbanker in Jackson Hole im Rallymodus. Andres Enke, Vorstand bei der Geneon Vermögensmanagement AG, stuft das allerdings als Bärenmarktrally ein.

In diesem Jahr hat die Sommerrally ihrem Namen alle Ehre gemacht. Der S& P 500 ist im Juli um satte acht Prozent gestiegen. Einen solchen Kursgewinn hat es in dem Sommermonat seit Jahren nicht gegeben. Seit dem Tief Mitte Juni hat der Leitindex trotz der jüngsten Korrektur mehr als zehn Prozent zugelegt. Doch die weiteren Aussichten sind keineswegs so sonnig, wie bis vor Kurzem den Eindruck gemacht hat.


Entscheidend für die weltweiten Aktienmärkte sind die US-Börsen. Und da sieht es alles andere als rosig aus. Zwar ist die Inflation in den USA im Juli gegenüber dem Vormonat mit 0,6 Prozentpunkten etwas stärker gesunken als erwartet. Mit 8,5 Prozent lag sie aber immer noch auf einem rekordhohen Niveau. Das vermiest dem US-Verbraucher zunehmend die Kauflaune. Die Menschen müssen in den USA mittlerweile entsparen, um auf dem gewohnten Niveau konsumieren zu können.


Jetzt gibt es die ersten Bremsspuren. Bei der Kaufhauskette Macy`s gingen im zweiten Quartal die Verkaufserlöse um 1,5 Prozent zurück. Das hört sich noch nicht dramatisch an. Der Gewinn je Aktie sank allerdings um mehr als acht Prozent. Das legt den Schluss nahe, dass die US-Verbraucher zunehmend nach preiswerteren Waren greifen, die niedrigere Gewinnmargen liefern.
Bei der amerikanischen Baumarktkette Home Depot legten dagegen sowohl der Umsatz als auch der Gewinn im zweiten Quartal kräftig zu. Aber auch das lässt sich negativ interpretieren. Es könnte durchaus sein, dass die Amerikaner zunehmend zuhause selbst Hand anlegen, um die Kosten für den Handwerker zu sparen.


Fed ist gefesselt
Trotz der guten Lage am Arbeitsmarkt droht sich in den USA das Konsumklima einzutrüben, obwohl es noch im August überraschend gut ausfiel. Möglicherweise ist die Lage am Arbeitsmarkt sogar zu gut. Denn mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von gerade einmal 3,5 Prozent herrscht Vollbeschäftigung. Schon seit Monaten zahlen Unternehmen neuen Mitarbeitern Antrittsprämien, wenn diese ihren neuen
Job starten. Zuletzt sind die Löhne schon um mehr als sechs Prozent gestiegen. Damit bahnt sich zumindest in den Vereinigten Staaten eine Lohn-Preis-Spirale an. Das macht es der amerikanischen Notenbank unmöglich, ihren Zinserhöhungspfad früher als erwartet zu verlassen.


Aktuell liegen die Leitzinsen der Fed zwischen 2,25 und 2,5 Prozent. Die Terminmärkte preisen derzeit bis zum Jahresende einen Anstieg auf 3,5 Prozent ein. Es könnte aber durchaus sein, dass es nicht dabei bleibt. Fed-Cehf Jerome Powell hat erstens weiter steigende Leitzinsen angekündigt und zweitens klar angedeutet, dass diese eine längere Zeit hoch bleiben könnten. Denn neben steigenden Löhnen
haben auch die USA mit höheren Energiekosten zu kämpfen. Trotz des jüngsten Rückgangs kostet ein Barrel Öl der Sorte WTI mehr als ein Drittel mehr als noch vor einem Jahr. Und das weltweite Angebot steht unter Druck.
Seit Jahren haben die Ölmultis ihre Investitionen in die Suche und Erschließung neuer Vorkommen runtergeschraubt. Es gibt kaum noch Reserven bei amerikanischem Schieferöl. Gleichzeitig soll auch in Saudi-Arabien der Spielraum für eine Produktionsausweitung äußerst begrenzt sein. Der Rückgang der russischen Öl und Gaslieferungen lässt sich also kaum kompensieren.
Moskau behauptet zwar, sein Öl und Gas jetzt vor allem nach Asien zu verkaufen, wenn die USA und Europa russische Energielieferungen sanktionieren. Doch so einfach ist das nicht. Denn in Richtung Osten fehlt Russland die notwendige Infrastruktur. Tatsächlich gehen die russischen Öl- und Gaslieferungen derzeit spürbar zurück. Steigende Löhne und ein hoher Ölpreis werden auch in den kommenden Monaten in den USA für eine (zu) hohe Inflation sorgen und Powell dazu zwingen, weiter an der Zinsschraube zu drehen. Im Zweifelsfall will der FedChef sogar eine Rezession in Kauf nehmen, um die Inflation zu bekämpfen. Was dies für die Aktienmärkte bedeutet, liegt auf der Hand.


Keine Kompensation durch China
Die Hoffnung, dass die Volksrepublik als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, gewissermaßen den Karren aus dem Dreck ziehen wird, dürfte sich als trügerisch erweisen. Peking peilt zwar nach offiziellen Angaben noch immer in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent an. Doch das Ziel dürfte kaum zu erreichen sein. Die wochenlangen Lockdowns wie in der Wirtschaftsmetropole Schanghai, die Schieflagen am Immobilienmarkt und jetzt auch noch die brutale Dürre, die in verschiedenen Regionen für Strommangel sorgt, bremsen das Wachstum. Goldman Sachs rechnet damit, dass das chinesische BIP in diesem Jahr nur um 2, 8 Prozent zulegt.


Neben der hohen Inflation und der schwachen Konjunktur belasten verschiedene geopolitische Konflikte die Aktienmärkte. Das gilt vor allem für den Krieg in der Ukraine, der die Wirtschaft und damit auch die Aktienmärkte in Europa nach unten drückt. Ein hohes Risikopotenzial birgt auch der Konflikt zwischen dem
kommunistischen China und dem demokratischen Taiwan. Und der Nahe Osten ist immer für eine negative Überraschung gut. Dazu kommt noch, dass September und Oktober erfahrungsgemäß als eher schwache Börsenmonate gelten.


Angesichts dieser Rahmenbedingungen sollten Anleger erst einmal weiter an der Seitenlinie stehen und entweder eine höhere Position Cash halten oder ihre Aktieninvestments absichern. Denn das, was sich in den zurückliegenden Wochen an den Aktienmärkten abgespielt hat, war nichts anderes als eine ärenmarktrally.

Andreas Enke