Inflation ist längst nicht vom Tisch

Inflationsraten kommen derzeit zurück und die Aktienmärkte „feiern“ das mit steigenden Kursen. Doch hohe Teuerungsraten könnten vorerst noch anhalten. Die Notenbanken stecken in der Zwickmühle.


Unter den Börsianern herrscht derzeit gute Stimmung. Ihrer Meinung nach scheint die Inflationsbekämpfung durch die Notenbanken erfolgreich zu sein und damit der Spuk dann absehbar ein Ende zu haben. Der leichte Anstieg der Teuerungsrate im Januar in Deutschland war auf Sondereffekte zurückzuführen, die sich so nicht wiederholen werden – vor allem die Übernahme der Abschlagszahlungen für Gas und Fernwärme im Dezember durch den Bund. Und schließlich haben Fed, EZB und Co. zuletzt ihre Leitzinsen erneut um jeweils einen halben Prozentpunkt angehoben.
Wann hat es eine so harte Geldpolitik historisch überhaupt schon mal gegeben?

Jetzt erwarten - oder besser gesagt spekulieren - die Aktienanleger darauf, dass mit den rigorosen Zinsanhebungen schon bald Schluss ist. Und Ende des Jahres könnten dann erste Zinssenkungen kommen. Denn die wirtschaftliche Entwicklung wird sowohl in den USA als auch in der Eurozone voraussichtlich schwächer verlaufen - auch wenn die Märkte mittlerweile kaum mehr mit einer Rezession
rechnen.

Die Inflationsraten fallen aber zurzeit im Wesentlichen deshalb, weil die starken Inflationstreiber der Vergangenheit – Energie und die durch Corona gestörten Lieferketten – sich nach und nach auflösen. Bei Öl und Gas sind es die Basiseffekte, die gegen die Inflation wirken. Beispielsweise hat Öl der Sorte Brent im vergangenen Jahr zwischen rund 80 und etwas mehr als 122 Dollar pro Fass gekostet. Aktuell notiert das Barrel bei rund 85 Dollar. Das ist zwar weiterhin alles andere als preiswert, im Vergleich zum Preis vor einem Jahr aber eben doch um rund zehn Prozentbilliger.


Energie wirkt derzeit deflatorisch
Öl hat damit derzeit nicht nur keinen inflatorischen Effekt, sondern sogar einen leicht deflatorischen. Das könnte sich in den kommenden Monaten noch verstärken. Denn Öl ist im vergangenen Jahr bis Mitte Juni immer teurer geworden. Wenn jetzt der Ölpreis stagniert oder sogar weiter fällt, würde sich der Abstand zu den höheren Preisen aus dem Vorjahr noch vergrößern und damit auch der „Anti-Inflations-Effekt“. Auch bei den Lieferketten entspannt sich die Lage, nachdem China angefangen hat, seine Wirtschaft wieder hochzufahren. Beide Entwicklungen beziehungsweise der daraus folgende Druck auf die Inflationsraten geht somit nicht aufs Konto der Notenbanken und ihrer verschärften Zinspolitik.


Eigentlich stellt sich jetzt die Frage, wie hoch in den kommenden Monaten sogenannte Zweitrundeneffekte ausfallen werden. Darunter versteht man Preiserhöhungen, die auf früheren Kostensteigerungen beruhen. Beispielsweise haben sich Lebensmittel verteuert, weil Energie mehr gekostet hat. Gleichzeitig lassen Forderungen nach Lohnerhöhungen im zweistelligen Prozent-Bereich nichts Gutes vermuten.
Die Inflation, die sich auf diese Weise festsetzt, ist viel schwieriger zu bekämpfen und spricht nicht dafür, dass die Notenbanken ihr Inflationsziel von rund zwei Prozent in absehbarer Zeit erreichen werden. Die zwei Prozent kämen wohl nur dann in Sicht, wenn sich Energie so stark verbilligen würde, dass sie die oben beschriebenen Zweitrundeneffekte überkompensieren könnte. Aufgrund der wirtschaftlichen
Erholung Chinas scheint es jedoch eher unwahrscheinlich, dass die Preise für Öl, Gas und Kohle noch spürbar weiter sinken. Und selbst wenn, wäre dies kein Erfolg der Notenbanken und könnte jederzeit erneut in die andere Richtung wirken, wenn Energiekosten wieder steigen.


Die Krux der Geldpolitik
Die Notenbanken stehen vor der schwierigen Entscheidung, ob sie wirklich bereit sind, die Zweitrunden- und die Inflationseffekte durch kräftige Lohnerhöhungen mit weiteren Leitzinserhöhungen zu bekämpfen. Dafür müssten sie spürbare Kollateralschäden in ihren sowieso bereits schwachen Volkswirtschaften in Kauf nehmen. Werden Fed, EZB und Co. tatsächlich durch mindestens ausbleibende Zinssenkungen und einer weiteren Verknappung der Liquidität in die wahrscheinliche Rezession reinbremsen? Fed-Chef Jerome Powell und EZB-Präsidenten Christine Lagarde werden bislang nicht müde, genau das anzukündigen.

Oder geben sich die Währungshüter mit den bis dahin scheinbar erzielten Erfolgen zufrieden und akzeptieren eine deutlich höhere Inflationsrate nach dem Motto: Die war ja schon mal noch höher? Bisher hatten es die Notenbanken in der Kommunikation leicht. Durch die ungewohnt hohen Inflationsraten haben nahezu alle Marktteilnehmer Erhöhungen der Leitzinsen gefordert. Das war einfach und gut zu
begründen und hat bisher ja auch kaum jemandem weh getan.

Jetzt kommt der schwere Teil: Die Inflation fällt, die Geldpolitik scheint Wirkung zu zeigen und die Schmerzen in der Realwirtschaft beginnen einzusetzen und werden von Monat zu Monat größer. Sind Zinserhöhungen oder zumindest ausbleibende Senkungen und weitere Liquiditätskürzungen auch in einer solchen Phase durchzuhalten und kommunizierbar? Vermutlich werden die Börsianer die „alten Zeiten“ so schnell nicht wiedersehen und mit einer höheren Inflation leben müssen.


Die 25000-Euro-Frage
In einem Szenario mit einer deutlich höheren Inflationsrate als die von den Notenbanken angepeilten zwei Prozent sollten sich Anleger, die beispielsweise über 25000 Euro Barmittel verfügen, grundsätzlich verstärkt in Produktivvermögen – sprich Aktien – investieren. Dies ist grundsätzlich über Aktienfonds möglich, die sich im Idealfall nach Kriterien der Nachhaltigen Geldanlagen gemanagt werden. Ein Risikomanagement, das die Aktienquote aktiv steuert, ist in diesen volatile Zeiten dabei sehr wertvoll.
https://www.geneon-vermoegen.net

Mark-Uwe Falkenhain