Kernkraft ist alles andere als nachhaltig

Die EU will Atomkraftwerke als ökologisch einstufen und damit entsprechende Investitionen fördern. Mark-Uwe Falkenhain, Vorstand bei der Geneon Vermögensverwaltung, hält das für abwegig.

Bei der Stromerzeugung durch Kernkraftwerke entstehen kaum CO2-Emissionen. Für die EU-Kommission ist das Grund genug, die Technologie als nachhaltig einstufen zu wollen. Dabei sprechen fast alle Argumente dagegen. Mit dem Vorschlag gerät die Taxonomie, mit der Brüssel Geldströme in nachhaltige Projekte umleiten und so den Green Deal umsetzen will, ins Abseits.


Das vielleicht wichtigste Argument gegen Kernkraft lautet, dass die Mehrheit der Bevölkerung sie schlichtweg ablehnt. In Deutschland und Norwegen votieren mehr als zwei Drittel der Menschen gegen Atomstrom. Selbst in Frankreich, wo so viel Strom mit Kernkraftwerken produziert wird, wie in keinem anderen Land, lehnen mehr als die Hälfte der Bürger Kernkraft ab. Nur in Großbritannien befürwortet eine
Mehrheit die Technologie. Aber das Vereinigte Königreich zählt ja nicht mehr zur EU.


Eigentlich will kaum ein Mensch freiwillig in der Nähe eines Atomkraftwerks leben. Insofern ist es moralisch verwerflich, dies von anderen Menschen zu verlangen. Zugegeben: Dabei handelt es sich um ein emotionales Argument, es gibt aber auch eine Reihe rationaler Gründe, die gegen Atomstrom sprechen.


Die Befürworter der Kernkraft führen immer wieder die geringen CO2-Emissionen ins Feld. Tatsächlich fallen bei der entsprechenden Stromproduktion nur sehr geringe Mengen an Kohlendioxid an, die deutlich unter dem Niveau beispielsweise von Kohlekraftwerken liegen. Allerdings greift diese Betrachtung zu kurz. Denn über den gesamten Lebenszyklus entstehen bei Kernkraftwerken sehr wohl nennenswerte Mengen von Treibhausgasen. Das beginnt mit dem Abbau von Uran, der energieintensiven Herstellung der Brennstäbe und geht weiter bis zum späteren Rückbau der Anlagen und der Endlagerung des Atommülls. Das Argument sticht also nicht wirklich.


Die These, Atomstrom sei vergleichsweise preiswert, lässt sich bei näherer Betrachtung ebenfalls nicht aufrechterhalten. Denn die Aussage gilt nur für die Anlagen, die bereits abgeschrieben sind. Vor allem aber erweist sich die Behauptung bei einer Vollkostenrechnung als schlichtweg falsch, denn sie lässt die Kosten für eine Versicherung der Meiler und die Endlagerung des Atommülls außen vor.

Kosten werden sozialisiert
Zwar gilt in Deutschland für Kernkraftwerke die Pflicht für eine Haftpflichtversicherung. Doch diese ist bei wenigen Hundert Millionen Euro gedeckelt. Die Schäden eines möglichen Gaus werden somit sozialisiert. Denn keine Versicherung ist freiwillig bereit, entsprechende Risiken zu übernehmen. Und wenn doch, wären die Versicherungskosten so hoch, dass sie kein Stromversorger bezahlen könnte.


Dasselbe gilt für die Endlagerung des Atommülls. Auch hier werden die Kosten auf die Gesellschaft, sprich die Steuerzahler, abgewälzt, da die entsprechenden Rückstellungen bei Weitem nicht ausreichen werden. Außerdem ist die Problematik der Endlagerung auch nach Jahrzehnten immer noch nicht gelöst. Der
entsprechende technologische Fortschritt lässt auf sich warten.


Zwar gibt es immer wieder Berichte über eine neue Generation von Kernkraftwerken, bei denen kein Atommüll mehr abfällt oder die sogar alte Brennstäbe verwerten können. Diese neuen Technologien funktionieren aber bislang nur auf dem Papier. Die entsprechenden Ankündigungen, die es bereits seit Jahren gibt, haben bisher nicht ansatzweise einen Praxistest bestanden.


Verlängerung der Restlaufzeiten funktioniert nicht
Regelmäßig fordern die Befürworter von Atomstrom, zumindest die noch am Netz befindlichen Meiler über das Jahr 2022 hinaus laufen zu lassen und nicht vorzeitig abzuschalten. Tatsächlich könnten dadurch mehrere Kohlekraftwerke ersetzt werden und sich CO2-Emissionen vermindern lassen, allerdings nur theoretisch. Abgesehen von den notwendigen Genehmigungen, die es dafür bräuchte, mangelt es für diese Anlagen an entsprechenden Kapazitäten für eine Modernisierung, die erforderlich wäre. Eine Verlängerung der Restlaufzeiten ist praktisch kaum machbar, selbst wenn sie gewollt würde.


Ob Anleger tatsächlich der von Brüssel geplanten Einstufung von Atomkraft als grüne Technologie folgen werden, darf bezweifelt werden. Zum einen stimmt die Argumentation pro Kernkraft hinten und vorne nicht. Zum anderen rechnen sich entsprechende Investments auch ohne Berücksichtigung nachhaltiger Kriterien in den seltensten Fällen. Der Bau von Atomkraftwerken dauert regelmäßig sehr viel länger als geplant und die Kosten laufen immer wieder aus dem Ruder.

Mit der Einstufung von Kernkraft als nachhaltige Technologie schießt die EU mit ihrer Taxonomie ein Eigentor, bevor sie überhaupt in Kraft ist. Anlegern bieten sich im weiter gefassten Bereich erneuerbare Energien sehr viel bessere Investmentchancen.

Mark-Uwe Falkenhain