Stagflation? Aktien bleiben ein Muss

Das Wirtschaftswachstum lässt nach und die Preise steigen: An den Finanzmärkten macht sich die Angst vor Stagflation breit. Andreas Enke, Vorstand bei der Geneon Vermögensverwaltung, setzt jedoch weiter auf Aktien.
Stagflation – die Wortkombination aus einem stagnierenden Wirtschaftswachstum und spürbarer Inflation treibt den Börsianern Sorgenfalten auf die Stirn. Zu den Fakten: Das renommierte Ifo-Institut erwartet, dass in Deutschland das Bruttoninlandsprodukt in diesem Jahr nur um 2,5 Prozent wächst. In normalen Zeiten wäre das vergleichsweise viel, jetzt in der Erholungsphase nach dem CoronaLockdown im vergangenen Jahr aber eher enttäuschend. Noch im Sommer hatte das Ifo-Institut mit einem Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent gerechnet.

Der Hauptgrund für das weltweit nachlassende Wirtschaftswachstum sind gestörte Lieferketten und Engpässe. Das geht schon bei den Energierohstoffen los. Vereinfacht ausgedrückt kauft China derzeit das gesamte Flüssiggas, was auf dem Weltmarkt zu haben ist. Die Volksrepublik hat schon im April des vergangenen Jahres seine Wirtschaft wieder hochgefahren, wodurch die Nachfrage nach Energie stark gestiegen ist. Gleichzeitig ist in China Kohle knapp, weil die Importe aus Australien aufgrund eines Handelsstreit gestoppt wurden. Kohlekraftwerke liefern aber in dem Reich der Mitte noch immer mehr als 60 Prozent des Stroms.


Die Folge ist, dass es immer wieder zu stundenlangen Drosselungen des Stromangebots kommt und die betroffenen Firmen ihre Produktion runterfahren oder zwischenzeitlich sogar ganz einstellen müssen. Dadurch werden auch bestimmte Vorprodukte knapp – zum Beispiel Spezialschrauben für Autos. Aber nicht nur Gas und Kohle sind rar, dasselbe gilt auch für fast alle Industriemetalle wir Kupfer, Zink oder Magnesium, was unter anderem in der Automolindustrie benötigt wird.

Abhängig von China


Bei Magnesium ist die Lage besonders kritisch, da hier China auf einen weltweiten Marktanteil von circa 85 Prozent kommt. Im Zweifelsfall geht das begehrte Metall erst einmal an heimische Kunden. Außerdem setzt Peking Rohstoffe immer wieder als politische Waffe ein. Um diese gefährliche Abhängigkeit zu reduzieren, haben die Unternehmen begonnen, die Lieferketten neu zu gestalten und die Vorproduktion zu regionalisieren. Diese Entwicklung hat schon vor dem Ausbruch der CoronaPandemie begonnen.

Wie komplex dieser Prozess jedoch ist, lässt sich am Beispiel Lithium gut zeigen. Mittlerweile boomt auch in Europa die Nachfrage nach Elektroautos. Diese benötigen bekannterweise Lithium-Ionen-Batterien. Noch vor wenigen Jahren haben es die westlichen Autokonzerne strikt abgelehnt, Batteriezellen selbst herzustellen. Doch hier hat es eine 180-Grad-Wende gegeben. Alle großen Autokonzerne, von Daimler bis VW, wollen mittlerweile im großen Stil eigene Batterie-Zellen-Fabriken hochziehen.


Doch damit ist die Abhängigkeit von China jedoch keineswegs gelöst, sie verschiebt sich nur auf der Lieferkette. Denn Batteriezellen brauchen große Mengen von Lithiumkarbonat oder -hydroxid. Diese liefern sogenannte Konverter, die lithiumhaltige Sole oder lithiumhaltiges Gestein zu Lithium in Batteriequalität mit einem Reinheitsgrad von mehr als 99 Prozent veredeln. Diese Konverter stehen
allerdings bislang vorwiegend in China, das weltweit Lithiumvorkommen ausbeutet, das Metall importiert und im eigenen Land zu Lithiumkarbonat oder -hydroxid verarbeitet und dann wieder zum Teil exportiert.


Vor diesem Hintergrund folgt es einer industriellen Logik, dass die niederländische Advanced Metallurgical Group und die deutsch-kanadische Rock Tech Lithium den Bau von Konvertern in Deutschland angekündigt haben. Beide Unternehmen verfügen auch über eigne Lithiumvorkommen und können somit die gesamte Lieferkette vom Rohstoff bis zu Lithium in Batteriequalität absichern. Es wird aber mindestens noch zwei, wahrscheinlich eher drei Jahre dauern, bis diese beiden Konverter Betrieb in gehen. Und sie werden bei Weitem nicht die gesamte Nachfrage nach veredeltem Lithium in Europa bedienen können.


Die gestörten Lieferketten führen nicht nur zu Engpässen, sondern auch zu beträchtlichen Preissteigerungen. Sollten sich das Wirtschaftswachstum weiter abkühlen und die Preise weiter steigen, könnte das Schreckensszenario Stagflation Wirklichkeit werden. Allerdings ist es bislang so, dass die Konjunktur zwar langsamer wächst als erwartet, aber sie expandiert noch. Damit vermelden die Unternehmen unter dem Strich steigende Umsätze. Und höhere Preise bedeuten, dass die Firmen,
die die gefragten Produkte anbieten, auch mehr verdienen. Gefährlich wäre es, wenn die Inflation auch zu steigenden Zinsen führen würde. Doch das ist bislang nicht der Fall. Noch halten die Notenbanken die Füße still, um die hochverschuldeten Staaten nicht durch höhere Zinslasten in Bedrängnis zu bringen. Alles in allem bleibt damit das positive Umfeld für Aktien weiter intakt.


Die 25000-Euro-Frage
Anleger, die ihr Geld - zum Beispiel 25000 Euro - vor dem Kaufkraftverlust auf dem Bankkonto schützen möchten, sollten den größten Teil in Aktien investieren. Aussichtsreich sind vor allem Unternehmen mit einer starken Preissetzungsmacht, die also höhere Kosten für Rohstoffe und Vorprodukte an ihre Kunden weiterreichen können. Außerdem sind Aktiengesellschaften empfehlenswert, die nachhaltig wirtschaften. Diese profitieren von den riesigen Konjunkturprogrammen in Europa und den USA, die es auch zum Ziel haben, die entsprechenden Volkswirtschaften ökologisch umzubauen.

Mark-Uwe Falkenhain