Wie sich die Autoindustrie dramatisch wandelt

Nach dem VW-Konzern schwenkt jetzt auch Daimler scharf in Richtung Elektro-Autos um. Andreas Enke, Vorstand bei Geneon, hält in den kommenden zehn Jahren einen drastischen Wandel in der Branche für absehbar.

Diese Ankündigung hat es in sich: Daimler will in den kommenden Jahren acht Fabriken für Batteriezellen hochziehen. Die Kapazität soll sich auf insgesamt 200 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr belaufen. Zum Vergleich: Die Gigafactory von Tesla und Panasonic in Nevada bringt es derzeit auf knapp 40 GWh pro Jahr. Sie ist die größte Batteriefabrik der Welt.

Gleichzeitig hat Daimler-Chef Ola Källenius angekündigt, ungefähr ab dem Jahr 2030 keine Autos mehr mit Benzin- und Dieselmotoren zu verkaufen. Bei einem Modellzyklus von sieben Jahren bedeutet dies, dass die letzten neuen Verbrenner bereits um das Jahr 2023 herum in Produktion gehen. Das verdeutlicht, wie radikal sich die Branche in den kommenden Jahren verändern wird. Bereits heute starten die europäischen Hersteller damit, ihre Palette an Elektroautos hochzufahren, auch weil die Kunden diese immer stärker nachfragen. Beispielsweise stellt der Allianzkonzern bis 2025 weltweit seine gesamte Dienstwagenflotte auf Hybrid- und reine Elektrofahrzeuge um.

Daimler und Co. belassen es aber nicht dabei, zunehmend auf Stromer umzusatteln, sie steigen auch auf breiter Front in die Herstellung der benötigten Batteriezellen ein. Dieser Schritt folgt einer industriellen Logik. Denn es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die Batterien die zentrale Komponente von E-Autos darstellen. Von ihnen hängen entscheidende Eigenschaften der Fahrzeuge wie Beschleunigung, Reichweite oder Ladedauer ab. Dies aus der Hand zu geben, kann sich eigentlich kein Autobauer leisten.

Bereits vor Daimler hatte der VW-Konzern angekündigt, allein in Europa in den kommenden Jahren sechs Gigafactories zu bauen. Volkswagen werden die neuen E-Auto-Modelle ID.3 und ID.4 vor allem in Europa gewissermaßen aus den Händen gerissen. In China und den USA ist VW mit dem ID.4 erst später an den Start gegangen.

180-Grad-Wende

Die Kehrtwende von Daimler, VW und Co. beruht auf mehreren Ursachen. In Europa wird der Verkauf neuer Autos mit Verbrennungsmotor ab dem Jahr 2035 faktisch verboten, weil ab dann die Neuwagenflotten kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. Das lässt sich eigentlich nur durch ein breites Angebot von E-Autos bewerkstelligen.

Und ohne die eigene Herstellung der Batteriezellen geht den Autoproduzenten ein großer Teil der Wertschöpfung verloren. Massenentlassungen wäre die Folge. Außerdem wollen die westlichen Autokonzerne offenbar ihre Abhängigkeit von asiatischen und hier vor allem von chinesischen Batteriezellen-Herstellern verringern.

Doch der Einstieg in die eigene Zellenfertigung kann eigentlich nur der erste Schritt sein. Dadurch wird die Abhängigkeit in der Lieferkette nur verschoben, aber nicht aufgelöst. Denn bislang stammen rund 90 Prozent des weltweit hergestellten Lithiumcarbonats und -hydroxids aus der Volksrepublik. Fast nur dort stehen die sogenannten Converter, die lithiumhaltiges Material, welches entweder aus Salzseen oder aus Gestein stammt, zu Lithium in Batteriequalität veredeln. Ein paar weitere dieser Chemiefabriken produzieren noch in Australien. In Europa herrscht wieder einmal – zumindest bislang – Fehlanzeige. Immerhin haben die niederländische Advanced Metallurgical Group (AMG) und der deutsch-kanadische Lithiumexplorer Rock Tech Lithium angekündigt, in den kommenden Jahren Converter auch in Europa zu bauen.

Lieferkette zu Ende denken

Doch die Autokonzerne werden noch weiter gehen müssen. Über kurz oder lang werden sie sich auch die Batterierohstoffe selbst wie Lithium und Cobalt sichern müssen, um ihre Lieferketten von Anfang bis Ende zu kontrollieren. Bislang kommt beispielsweise Lithium zu einem großen Teil aus politisch fragilen Ländern wie Chile und Argentinien. Wie so oft agiert hier wieder einmal Tesla als Pacemaker. Der Elektroauto-Pionier hat sich ein rund 4.000 Hektar großes Grundstück in Nevada gesichert, wo angeblich Lithium lagert.

Aber auch hier zeichnet sich bei den Europäern ein Umdenken ab. Dieses Mal gibt Renault den Vorreiter. Die Franzosen gaben vor kurzem bekannt, sich ab 2026 jedes Jahr bis zu 17.000 Tonnen Lithium von Vulcan Energy liefern zu lassen. Das eigentlich australische Unternehmen will am Rheingraben aus Thermalwasser Lithium gewinnen. Eine erste Pilotanlage soll noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen. Allerdings sind massive Proteste von Umweltschützern zu erwarten. Unabhängig davon ist es generell wünschenswert, dass die Produktion von Lithium umweltverträglich erfolgt, egal ob in Deutschland oder anderswo.

So oder so: Die Automobilindustrie steht vor den größten Veränderungen seit der Einführung des Fließbands. Sicherlich werden nicht alle Autohersteller und Zulieferer überleben. Es wird aber auch neue erfolgreiche Newcomer geben - und zwar entlang der gesamten Lieferkette. Anleger sollten die Branche genau analysieren, bevor sie hier einsteigen.

Andreas Enke